Geburtstags-Gala mit Herausforderungen

KONZERT Das 90-köpfige „Orchester am Singrün“ und sein Leiter Lutz Landwehr von Pragenau präsentierten Mahlers und Schuberts Werk in der Regentalhalle.

VON THOMAS GÖTTINGER,MZ

NITTENAU. Es gibt Wendepunkte in der Musikgeschichte, an denen hätte man einfach dabei sein müssen. Bei der Uraufführung von Wagners „Tristan und Isolde“ in München beispielsweise, als zum ersten Mal der legendäre „Tristan- Akkord“ erklang und das Publikum in Angst und Schrecken versetzte. Oder als Strawinskys „Le Sacre du Printemps“ in Paris für einen Skandal sorgte. Und natürlich am 18. November 1900, dem Tag, an dem Gustav Mahler in Wien mit seiner ersten Sinfonie mindestens für Irritationen sorgte.
Gut möglich, dass sich auch am Samstag der eine oder andere Konzertbesucher in der Regentalhalle über diese Musik gewundert hat. Das verstörende Potenzial von ehedem – es ist zwar nicht mehr allzu groß, selbst der Unbedarfteste dürfte da längst ganz andere Sachen gehört haben –, es vermag seine Wirkung aber immer noch zu entfalten. Vor allem aber wurde an diesem Abend abermals deutlich, was für ein ungeheurer Brocken Mahlers Erste ist.

Sinnliche und adäquate Darbietung

Umso erstaunlicher deshalb, mit welcher Klasse und bezwingender Intensität ausgerechnet das „Orchester am Singrün“ die Sinfonie am Samstag bewältigte. Nur zur Erinnerung: Selbst Weltklasseorchester scheitern regelmäßig an ihr. Es gibt wenige wirklich überzeugende Einspielungen. Kurzum: Das Werk ist und bleibt eine Herausforderung.
Natürlich hat demgegenüber das „Singrün“-Orchester nicht auf Weltklasse- Niveau agiert. Und selbstredend gab es da eine Vielzahl von Stellen, an denen der Umstand, dass hier „Laien“ am Werke waren, mehr als deutlich zutage getreten ist. Aber dass das auf 90 Musikerinnen und Musiker angewachsene Ensemble unter der Leitung von Lutz Landwehr von Pragenau in der Lage ist, mit der Komplexität dieser Musik adäquat und sinnlich einnehmend umzugehen – genau das wurde den viel zu wenigen Zuhörern in der Regentalhalle eben auch vor Ohren geführt.
Mahlers Spaß an der ironischen Verfremdung, seine mitunter aufdringliche Schroffheit, die nachgerade collagenartige Motivschichtung und nicht zuletzt auch sein Faible fürs Volkstümliche wurden da jedenfalls aufs Überzeugendste umgesetzt. Respekt und Hut ab vor dieser Leistung! Ein schöneres Geburtstagsgeschenk zum25-Jährigen hätte sich das Orchester kaum machen können.
Überzeugend auch Schuberts „Unvollendete“, mit der der Abend begann. Vor allem die tiefen Streicher in diesem Orchester präsentierten sich dabei einmal mehr als musikalischer Glücksfall. Freilich kann man getrost darüber diskutieren, ob die extrem langsamen Tempi im Kopfsatz, die Landwehr von Pragenau gewählt hatte, wirklich zielführend waren. Manches kam schon reichlich verschleppt daher. Andererseits ist der Gedanke, sich ganz und gar auf Schuberts Melodienwelt einzulassen, sie in gewisser Weise vollends auszukosten und das Orchester in ihr schwelgen zu lassen, so verkehrt ja nun auch wieder nicht. Eine Geschmacksfrage, zweifellos.

Ein Glücksfall für die Stadt

Kurzum: Dieses erneute Gastspiel der Singrüner in Nittenau entpuppte sich einmal mehr als Glücksfall für die Stadt. Und da man mit der neuen Halle nun auch einen akustisch erstaunlich brauchbaren und ansprechenden Veranstaltungsort hat, wird diese wundervolle alljährliche Stippvisite hoffentlich fortgesetzt.
Ein Wunsch bleibt dem Rezensenten freilich nach diesem Abend: Er wäre gerne einen Tag später auch noch beim großen Konzert des Orchesters im Regensburger Audimax dabei gewesen.

Abdruck aus der MZ vom 07.05.2011